Existenzielle Kommunikation
Teilprojekt im beantragten SFB Erfahrung und Umgang mit Endlichkeit, Collegium Philosophicum der Philosophische Fakultät, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Projektleiter: Frank Gieseler, Werner Theobald
Mitarbeiterin: Nicole Birninger
1.2 Projektskizze
1.2.1 Zusammenfassung und zentrale Fragestellung
In diesem Teilprojekt soll die Frage bearbeitet werden, in welcher Weise aufgrund von individuellen Endlichkeitswahrnehmungen Formen des Umgangs und der Bewältigung mit Endlichkeit entwickelt werden. Es geht hier um die existenzielle Situation eines Menschen, dem die Diagnose einer Krebserkrankung mitgeteilt wird und um die besonderen ethischen Probleme in der Kommunikation zwischen dem Patienten, seinem persönlichen Umfeld, dem Pflegepersonal und den Ärzten. Eine Untersuchung dieser Thematik ist vor dem Hintergrund einer (vermeintlich) tödlich endenden und mit Leid verbundenen Krebskrankheit, die einem das eigene Lebensende schlagartig vor Augen führt, sinnvoll. Sie ist aufgrund der steigenden Anzahl von Tumorpatienten (Epidemiologie, verbesserte Therapien etc.) und der fehlenden Auseinandersetzung mit Alter und Tod in unserer west-europäischen Gesellschaft geradezu notwendig.
Im Verlauf einer Krebserkrankung – von den ersten Symptomen über die Diagnostik, die Gewissheit an einer Krebserkrankung zu leiden und schließlich im Rahmen der Therapie – gibt es mehrere Phasen, in denen Arzt und Patient gemeinsam Entscheidungen fällen müssen. Der Arzt-Patient-Kommunikation kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Sie ist mit zwei Grundproblemen belastet: 1. Eine konstruktive Beteiligung des Patienten ist oft schwierig, da bei lebensbedrohlichen Erkrankungen tief sitzende Ängste einen klaren Blick auf die reale Situation und die Behandlungsmöglichkeiten trüben können. 2. Die berufliche und persönliche Situation des Arztes – wie fehlende Zeit im Arbeitsstress oder eine ungeklärte persönliche Einstellung zum Lebensende – kann sich zusätzlich erschwerend auf das Arzt-Patient-Gespräch auswirken.
Im Unterschied zu vielen anderen Bereichen der Medizin reichen in der Onkologie Kenntnisse in Standardsituationen der ärztlichen Gesprächsführung nicht aus, da zu den Ebenen der verbalen (Übermittlung von Sachinformationen) und non-verbalen Kommunikation (Berücksichtigung emotionaler Komponenten) die persönliche Situation und Verarbeitungsstrategien des Patienten wie des Arztes angesichts der Endlichkeit des Lebens hinzukommen. Die Diagnose „Krebs“ ist ein traumatisches Ereignis, das auf Seiten des Patienten Abwehrmechanismen induziert. Es kommt zu einer emotionalen Ausnahmesituation, da Krebserkrankungen nicht nur mit dem Sterben, sondern auch mit einem langen Leidensweg in Verbindung gebracht werden. Durch die Diagnose und die Beschäftigung mit der Erkrankung wird den Patienten schlagartig die Endlichkeit ihres Lebens vor Augen geführt und dadurch die Wertigkeit bisheriger Lebensperspektiven relativiert.
Der Umgang mit einem an Krebs erkrankten Patienten kann aber auch auf Seiten des Arztes zu einer Krisensituation führen. Vor allem bei jungen Ärztinnen und Ärzten – insbesondere, wenn der Patient in einem ähnlichen Alter ist wie sie selbst – kann man ein sog. „Flip-Flop-Phänomen“ beobachten: Den Mediziner trifft die Erkenntnis, dass ohne weiteres nicht er der Arzt, sondern mit gleicher Berechtigung auch der Patient sein könnte. Die Grenze zwischen Arzt und Patient löst sich auf, und der Arzt ist der Angst, die eigentlich dem Patienten gilt, ausgeliefert. Wenn die Bedrohlichkeit der Situation wahrgenommen wird, werden bei Ärzten die gleichen Verarbeitungs- und Abwehrmechanismen in Gang gesetzt, wie sie für die Patienten typisch sind. Dies gilt insbesondere für Mediziner, denen eine „spirituelle“ Grundlage mit dem Gefühl der Einbettung in einen tragenden Gesamtzusammenhang fehlt. Existiert hier keine professionelle Hilfestellung, ist die Entwicklung eines Burn-Out-Syndroms – vor allem bei jungen Ärztinnen und Ärzten – möglich. Die prinzipielle Gefährdung, an Burnout zu erkranken, die bei Onkologen doppelt- bis dreifach so hoch ist wie unter „normalen“ Medizinern, wird dadurch noch verstärkt.
1.1.1. Stand der Forschung und eigene Vorarbeiten:
Es gibt bisher kaum Forschung, die sich mit diesem Problemfeld beschäftigt hat. Dies hat unter anderem seine Ursache darin, dass sich die moderne Medizin, ausgehend von den USA, mehr und mehr auf statistische Größen bezieht ("evidence based medicine") und sich erst in den letzten Jahren wieder auf den individuellen Ansatz der Arzt-Patientenbeziehung (rück-)besinnt. Im deutschsprachigen Raum gibt es dagegen eine besondere Tradition ärztlicher Ethik mit Zuwendung zu individuellen Patienten, die aufgrund der Dominanz amerikanischer Studien zunehmend in den Hintergrund gedrängt wurde. Es gibt kaum relevante Publikationen zu dem Themenkreis, wie stark sich kulturell und historisch gewachsene Tradierungen auf Erfahrungs- und Umgangsweisen der menschlichen Endlichkeit auswirken und wie diese im besonderen Kontext der Onkologie in der modernen Medizin reflektiert werden. Aufbauend auf den wenigen, die sich vor allem auf den US-amerikanischen Raum beziehen , haben die Projektleiter eigene klinische Studien dazu durchgeführt und in wissenschaftlichen Artikeln reflektiert (siehe Abschnitt 1.4). Weiterhin wurden bereits eine medizinische Doktorarbeit, sowie eine Diplomarbeit zu den Themen der Elemente einer gelungenen Arzt-Patientenkommunikation und dem Burn-Out-Phänomen bei Onkologen durchgeführt (siehe Abschnitt 1.4). Hier konnten erste Ergebnisse aufzeigen, wie belastend diese Situation auch für Ärztinnen und Ärzte ist. Diese Arbeit zeigt die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung auch der behandelnden Ärztinnen und Ärzte mit dem Thema „Endlichkeit“, um sie davor zu bewahren, selbst zum „Patienten“ zu werden und in der Kommunikation mit den realen, aktuell von Sterben und Tod bedrohten Patienten Glaubwürdigkeit und Kompetenz auszubilden.
In der modernen Kommunikationsethik wird gegenwärtig ein Konzept sog. „empathischer Kommunikation“ diskutiert. Dieses Konzept arbeitet mit Elementen der Leid-Forschung und der Existenziellen Phänomenologie. Eine These dieses Teilprojekts ist, dass eine Übertragung dieses Forschungsansatzes auf die Probleme der Kommunikation mit Krebspatienten, die mit der Endlichkeit ihres Lebens und mit existenziellen Fragen konfrontiert sind, sinnvoll sein kann. Hierzu soll ein Modell Modell „Existenzielle Kommunikation“ entwickelt werden.
Bisherige Publikationen:
Mannhardt, Ogbonnaya, Gieseler (2013): "Double-reflection" – a practical approach to teach the importance of empathy in patient-doctor communication in oncology, in: The oncologist 18 (9), 1058-1058.
Gieseler: Ethik in der Onkologie: Spannungsfeld zwischen Therapieoptimum und Lebensqualität (Ethics in oncology: Decision between therapeutical optimum and the patient's quality of life), in: Oehmichen, Manfred/ Kaatsch, Hans-Jürgen/ Rosenau, Hartmut (Hrsg.): Research in Legal Medicine, Lübeck, S. 229-41 (Ethik in Klinik und Forschung, Band 29).
Gieseler,Theobald (2008): Arzt-Patient-Kommunikation in der Onkologie, in: Kaatsch, H.-J./ Rosenau, Hartmut/ Theobald, Werner (Hrsg.): Medizinethik, S. 157-71 (Ethik Interdisziplinär, Band16).
- Forschung
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- Priorisierung in der medizinischen Versorgung
- Ethik in den Biowissenschaften
- Ethik in der Onkologie
- Kommunikationsdefizite in der täglichen Arbeit auf der onkologischen Station
- Existenzielle Kommunikation
- Zur Abwägung von Nutzen- und Schadenpotenzialen von Forschungsvorhaben an und mit Menschen - Aktualisierung und Vertiefung der Empfehlungen zur Antragstellung und Begutachtung klinischer Studien bei bzw. durch Ethik-Kommissionen (AVEEK)
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